In unserer Gemeindevision haben wir als einen Schwerpunkt formuliert:
Wir gehen mit Gott mutige Schritte in die Welt, damit Menschen durch Jesus zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes kommen.
Wir wünschen uns, dass es Teil unserer DNA wird, unseren Glauben an andere weiterzugeben – ganz natürlich, ganz selbstverständlich, ganz normal.
Aber gleichzeitig ist der Begriff „Evangelisation“ für die meisten von uns ein Schreckgespenst. Allein das Wort hat manchmal schon eine demotivierende Wirkung auf uns. Möglicherweise hat das damit zu tun, dass wir eine merkwürdige Vorstellung davon haben, wie Evangelisation auszusehen hat. Wir denken, Evangelisation bedeutet: Ich versuche wildfremden Menschen ein Gespräch über eine Sache aufzuzwingen, für die sie gerade weder Zeit noch Interesse übrighaben.
Dabei kann das Weitertragen des eigenen Glaubens so unterschiedlich aussehen. Ein paar Beispiele:
- Tobias fragt am Montagmorgen seinen Arbeitskollegen Mark, wie das Wochenende war. Mark erzählt, dass er auf einem Männerwochenende war, auf dem es um geistliche Hilfen zur Vergebung gegenüber Menschen ging, die uns jahrelang Unrecht getan haben. Als Tobias sich interessiert zeigt, geht Mark das Wagnis ein und erzählt, dass ihm am meisten hilft, dass Gott ihm durch Jesus Vergebung anbietet, obwohl er sich selbst vor Gott schuldig gemacht hat.
- Daniel und Pauline lesen mit ihren beiden fünf- und siebenjährigen Söhnen eine einfache Einführung ins Leben als Christ. Sie gehen auf die Fragen der Jungen ein und helfen ihnen, die Texte zu verstehen.
- Sandra lernt in der Gemeinde eine junge Frau namens Clara kennen. Clara vertraut ihr an, dass sie und ihr Mann Eheprobleme haben und er nicht bereit ist, zu einer Eheberatung zu gehen. Sandra und ihr Mann Georg laden Clara und Tim zum Essen ein. Tim und Georg verstehen sich auf Anhieb. Anschließen kann Clara Tim dazu gewinnen, sich mit Georg und Sandra zu treffen, um gemeinsam über ihre Ehe zu sprechen. Vier Monate lang treffen sie sich einmal im Monat, um über Epheser 5 und andere Bibeltexte zur Ehe zu sprechen.
- Johannes kommt mit seiner Frau zum Gottesdienst, ist aber nicht sicher, wo er im Glauben steht. Der Pastor stellt ihm Tom vor, einen der Ältesten, der sich daraufhin gelegentlich mit ihm trifft, um zusammen ein Buch über die Grundlagen des Christseins zu lesen und darüber zu sprechen. Nach zwei solchen Treffen erklärt sich Johannes einverstanden, alle zwei bis drei Wochen zusammen mit Tom im Markusevangelium zu lesen.
- Jenny kommt seit Neuestem zu einer Kleingruppe der Gemeinde. Sie ist in einer Gemeinde groß geworden, hat aber so viele Zweifel und Fragen, dass Heike, die Leiterin der Gruppe, sich unter vier Augen mit ihr trifft. Sie lesen gemeinsam Bibeltexte und Bücher, anhand derer sie nach und nach ihre Fragen durchgehen.
- Franz ist ein alleinstehender junger Anwalt. Er kennt ein paar andere Anwälte, die in seiner Gemeinde gehen, aber für andere Kanzleien arbeiten. Als er eine Party für einige nichtchristliche Kollegen organisiert, lädt er auch zwei Anwälte aus seiner Gemeinde und ein paar weitere Christen ein. Die Leute aus der Kanzlei verstehen sich prächtig mit den Leuten aus Gemeinde. Ein paar Monate später taucht einer von ihnen mit einem von Franz Freunden in der Gemeinde auf.
- Leonie trifft in der Gemeinde Theresa, die gerade Christin geworden ist, und lädt sie ein, gemeinsam eine Einführung in den Glauben zu lesen.
- Max geht schon seit Monaten in eine Kleingruppe. Irgendwann dämmert ihm, dass er den Wert der Kleingruppe nur daran misst, was er selbst davon hat. Daraufhin beginnt er sich gut vorzubereiten, den Bibeltext vorher zu lesen und für die Gruppe zu beten. An den Abenden sucht er nach Gelegenheiten, dem Leiter durch gute Gesprächsbeiträge zu helfen und in der Gruppe in Liebe die Wahrheit zu sagen, um dadurch andere zu ermutigen und ihnen auf ihrem Weg mit Jesus zu helfen.
- Jana und zwei ihrer christlichen Freundinnen haben kleine Kinder. Sie starten mit nichtchristlichen Freundinnen eine Krabbelgruppe. Die Gruppe wächst im Laufe eines Jahres um weitere Christen und Nichtchristen. Die Gespräche drehen sich um allgemeine zwanglose Themen, Ehe- und Erziehungsfragen und Persönliches. Mit der Zeit kommen einige Nichtchristinnen auch in die Gemeinde und finden zum Glauben. Nach drei Jahren ist aus der Gruppe ein Hauskreis geworden, zu dem immer noch ein paar Nichtchristinnen kommen.
- Leonard und Amelie sind Künstler, die sich in einer stadtweiten, christlichen Künstlergruppe engagieren, die an ihre Ortsgemeinde angeschlossen ist. Die Treffen bestehen gewöhnlich aus einem Gespräch über das Verhältnis zwischen Glauben und Kunst. Viermal im Jahr gibt es eine Veranstaltung – eine Vernissage oder Lesung -, auf der ein etablierter Künstler öffentlich darüber spricht, wie sich der Glaube auf die Kunst auswirkt. Leonard und Amelie achten sehr darauf, dass sie zu diesen Veranstaltungen auch nichtchristliche Künstler oder Kunstinteressierte einladen.
- Steffen kommt durch eine Gruppe für Zweifler und Skeptiker zum Glauben, die eine Gemeinde anbietet. Zu seiner Taufe lädt er eine Reihe nichtchristlicher Freunde ein und geht anschließend mit ihnen essen, um über das Ganze zu reden. Ein Freund ist davon sehr beeindruckt. Steffen lädt ihn ein, wiederzukommen. Schließlich kommt sein Freund mit zu seiner Kleingruppe.
- Frank ist leidenschaftlicher Modelleisenbahn-Fan. Er organisiert in Zusammenarbeit mit seiner Gemeinde eine Modelleisenbahn-Ausstellung in den Räumen der Gemeinde. Ein Besucher zeigt sich neugierig und kommt mit Frank über den außergewöhnlichen Veranstaltungsort ins Gespräch. Frank erzählt ihm von der Gemeinde und lädt ihn zum Gottesdienst ein.
Meine Hoffnung ist, dass sich unser Blick dafür weitet, wie unterschiedlich es aussehen und wie natürlich es sein kann, Glauben weiterzutragen. Lasst uns das zu einem Teil unserer Gemeinde-DNA machen. Lasst uns das Weitertragen unseres Glaubens nicht als „Aktion“ verstehen, sondern lasst es zu einem natürlichen Teil unserer Gemeindekultur machen.
Thomas Keil